Die Universität St. Gallen hat den jungen Schweizer Autoren Benjamin von Wyl, Träger des Schweizer Literaturpreises, eingeladen, Ende April 2022 drei Poetik-Vorlesungen zu halten. Aus diesem Anlass ist der Essay «Warum Journalismus besser ist als Jesus (und Literatur besser als der Heilige Geist)» entstanden. Von Wyl gelingt darin das Kunststück, einerseits seine Schreibbiografie in eine spannende Erzählung zu giessen. Andererseits schält er virtuos den Unterschied zwischen einer journalistischen Weltsicht und der literarischen Weltdeutung heraus. Er tut dies anhand von konkreten Beispielen, eingehenden, ebenso humorvollen wie tiefschürfenden Passagen.
Schreibblockaden sind ein Klischee, genauso wie Blockaden beim Schreiben übers Schreiben. Am 24. Juni 2021 habe ich mich hingesetzt, um diese Vorlesung zu schreiben. Bewusst früh genug. Wenige Tage davor habe ich das erste wild lebende Wildschwein meines Lebens gesehen; es dauerte Wochen bis zum zweiten Wildschwein. Denn es hat gestürmt. Meine Schreibbedingungen wären ideal gewesen: Im Regen, in einem Atelier über dem Lago Maggiore – Aussichten und wenig Alternativen. Doch nach einem Halbtag freudlosem Thesentippen, guckte ich die Brissago-Inseln einmal zu oft an. Vor dem Regen war ich zweimal auf der grösseren, der mit dem botanischen Garten. An deren Küsten wachsen sogar Sumpfzypressen, wie Stelzen ragen deren Atemwurzeln aus dem Wasser. Stelzen, Inseln, die Idee, dass in der Tiefe des Lago Maggiore, in der Tiefe aller Meere alles anders sein könnte, als wir es uns ausmalen. Vorbei war es mit dem Thesenentwerfen ich folgte der Idee in eine Erzählung, in ein Märchen, entdeckte, was zu ihr passt, was nicht, wie sie wirken könnte. Am 24. Juli 2021 stand von der Vorlesung noch immer nichts. In Westdeutschland führte der Dauerregen zu Hochwasser, ich sass in einer hitzigen Dachwohnung in Ostdeutschland. Und tippte, machte mir Gedanken, ab drei Uhr nachmittags half in diesen Tagen nichts mehr: Alles drehte. Doch abends beim Einschlafen hab ich mich aufs Weiterschreiben gefreut. Die erste Idee meines Maggiore-Märchens hatte sich auf 180 000 Zeichen ausgedehnt. Es vergehen Monate, bis ich auch für diese Vorlesung solchen Antrieb entdecke. Schreiben, schreibend, geschrieben.
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