Männer, Männer, Männer

Männer sind wie Bäume. Das Thema ist aber der Wald.

In den Tagen, in denen ich diese Kolumne schreibe, stolpere ich durch eine kleine deutsche Grossstadt und weine genug, um Weintagebuch II bis IV zu füllen. Meine Gefühle hängen gerade so in der Luft, dass ich darüber kaum schreiben kann. Ich suche ein Kopfthema für die Kolumne.

Die Credit Suisse, Banker! Aber ich weiss wenig über Banker und sie sind auch ein einfaches Feindbild. Ich denke über Männer in Büchern nach, Männer auf Social Media, «Männer» von Herbert Grönemeyer und «(I hasse) Cis Männer» von ENL. Was schreiben? Ich lese «Boykott», ein dickes Magazin «für Männer und gegen das Patriarchat», das einerseits ziemlich zugänglich Themen wie Misgendering erklärt, andererseits aber auch verschiedenen, teils angreifbaren, teils streitbaren Innenund Aussenperspektiven auf Männlichkeit Raum gibt. Darunter ist auch ein Text, der mich nervt: Man solle aufhören, Männlichkeit reformieren zu wollen. Es brauche «eine Abkehr von Männlichkeit als Geschlechtsidentität», schreibt der:die Autor:in Raphi Maier.

Der Text regt mich auf. Nicht, weil ich Männlichkeit wünschenswert finde. Der Text regt mich auf dieselbe Art auf, wie mich Leute – meist Männer – aufregen, die meinen, wenn man in einem Lesekreis Leo Trotzki lese und am Samstagnachmittag «Smash Capitalism» rufe, werde alles gut. Doch die Lektüre hilft mir dabei, herauszuschälen, wie ich eigentlich zur Männlichkeit stehe. Nämlich fatalistisch.

Ich habe als Kind männliche Gewalt erlebt, von Männern gleichen Alters und anderen. Mir wurde die Männlichkeit abgesprochen, weil ich dick und ungelenk war. Ich habe schon früh mitbekommen, wie Männer Frauen schlecht behandeln. Ich wünsche mir eine Gesellschaft ohne Geschlechter, genauso wie ich mir eine Welt ohne Hunger wünsche. Ich denke, man kann Schritte in die eine oder andere Richtung gehen, sich konstant reflektieren und kein Agent des Vorgestrigen sein. Aber wenn man als Mann sozialisiert wurde und sich als Mann identifiziert, scheint es auch schaurig bequem, Männlichkeit einfach abschaffen zu wollen. Denn ich erlebe ja dauernd männliche Privilegien: Ich sehe, wie ernst meine Meinung genommen wird, wie ich immer wieder in Situationen lande, wo Männer mit Männern unter Männern entscheiden. Ich sehe, wie der besoffene Idiot im Tram zusammenzuckt, wenn ich ihn anschreie, weil er andere Mitfahrende belästigt. Ich kann im Dunkeln alleine durch die kleine deutsche Grossstadt stolpern und muss mir kaum Sorgen machen. Ich habe all die Privilegien. Und darum bin ich für Fatalismus: ohne rosiges neues Männerbild, ohne Selbsthass, aber mit Bewusstsein für die Dinge, die man verschuldet hat oder ändern kann. Bis es irgendwann vielleicht eine Gesellschaft gibt, in der Geschlecht als Merkmal maximal noch so entscheidend ist wie der Krümmungswinkel des kleinen Zehs.

So denke ich mir das zusammen, es tut gut, in meinem Kopf zu sein, so rational zwischen Konzepten am Hangeln. Weinpause. Dann wird es dunkel und ich gehe in ein Kino. Da läuft «Saint Omer» von Alice Diop, ein Spielfilm, der auf wahren Begebenheiten beruht. Er erzählt von einer Mutter, die ihr wenige Monate altes Kind ertränkt, und zeigt vor allem die Gerichtsverhandlung. Die Verteidigerin sagt Sachen, die Richterin sagt Sachen, der Staatsanwalt sagt Sachen, die Angeklagte sagt Sachen. Der Film versucht nicht zu erklären, warum die Mutter tat, was sie tat. Er seziert dabei aber vieles, was das Patriarchat verschuldet, und spannt einen Bogen von den Frauen, denen Männer in Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg zur Erniedrigung als «Deutschenflittchen» die Haare schoren, bis zum selbstgerechten, selbstgewissen Vater des Kindes. Erst jetzt merke ich, wie sehr ich den ganzen Tag um Männer, Männer, Männer kreiste und dabei vergessen oder verdrängt habe: Die Leidtragenden des Patriarchats sind vor allem Nicht-Männer.