Viele Männer sprechen mit Männern über Schuld und Verantwortung von Männern. Sie kennen die Lösung nicht. Aber sie wissen auch, dass es wichtig ist, mit mehr Männern darüber zu sprechen.
Gespräche sind nie besser als beim Wandern. Die Landschaft ist ungewohnt, die Anstrengung so gleichmässig wie die Schritte. Zu zweit, zu mehrt befinden wir uns unterwegs an einen Ort. Ein Austreten aus dem Gewohnten, ein Aussenblick auf den Alltag und sich selbst. Ob der Blick in die verbaute Tiefe reicht oder nicht: Nach 10’000, nach 20’000, nach 30’000 Schritten ist das Leben, die Welt, das in die Gesellschaft Gebettete weit genug weg, um es zu drehen, zu verschieben und zu betrachten. Als wäre es ein Rubikon-Würfel.
So gut wie keine Wanderung kommt ohne Gespräche über Sexismus, Übergriffe, Privilegien und Geschlechterfragen aus. Denn leider drängen diese Themen immer. In jedem Leben tauchen immer wieder Fälle auf, wo sich Männer in einem Mass daneben benehmen, dass es einfach unmöglich ist, nicht darüber zu sprechen.
Welche Verantwortung entstehen aus Privilegien? Woher kommt das Schlechte im Mann? Wie geht man damit um, wenn man sich selbst nicht gut verhalten hat – merkt, wie man Diskussionen dominiert – und es trotzdem wieder tut? Diese Gespräche habe ich mit Nicht-Männern, diese Gespräche finden aber genauso nur unter Männern statt.
Obwohl auf Social Media manchmal behauptet wird, es sei anders: Diese Fragen umtreiben viele Männer. Gerade auch solche, die sich öffentlich nicht dazu äussern.
Einiges geht dabei auch in Richtung Vergangenheitsbewältigung. Die meisten Männer, die ich kenne – mich eingeschlossen – bekamen als Teenager ein Männerbild vermittelt, wo Dinge normal waren oder gar als Ideal gepriesen wurden, die heute – zum Glück – bisweilen vor Gericht verhandelt werden. 1999 war ich neun, doch die Netflix-Doku über die sexualisierte Gewalt bei «Woodstock ‘99» bringt trotzdem Flashbacks zurück. Erinnerungen an Schulhausgänge, in denen der Klassenkamerad auf der Bank sass und jede Mitschülerin, die vorbeigegangen ist, betatscht hat. Dass das nicht ich war, liegt wohl eher an Ängsten und Unsicherheiten als an Einsicht und Verständnis für das Recht am eigenen Körper und Begegnungen auf Augenhöhe. Über «Woodstock ‘99» sprechen wir wandernden Männer also beispielsweise, und was es mit uns zu tun hat.
Wir sprechen auch darüber, wie man damit umgeht, wenn man nun mal ein Mann ist. Heute. Wie kann unsere Rolle in dieser Gesellschaft aussehen? Bei welchen sexistischen Witzen, Sprüchen, Diskussionen haben wir eine moralische Pflicht zu intervenieren. Und wie können wir unsere Position reflektieren?
Die Wandergespräche gehen eigentlich nie in Lösungen auf. Sie münden in Varianten von «Don’t be an asshole» und, ich glaub, das ist wichtig: Sie bestärken uns im Bewusstsein, dass man als Mann mit Männern über diese Themen sprechen soll. Und zwar auch mit Männern, denen vielleicht die Sprache für ihr Innenleben fehlt. Manche entdecken diese Sprache gerade in der Natur.